Gedanken zum Sonntag des Guten Hirten, 18.4.2021

Psalm 23 (EG 711)

Der Herr ist mein Hirte,

mir wird nichts mangeln.

     Er weidet mich auf einer grünen Aue

     und führet mich zum frischen Wasser.

Er erquicket meine Seele.

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

     Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,

     fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.

     Du bereitest vor mir einen Tisch

     im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl

und schenkest mir voll ein.

     Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,

     und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Gebet:

Gott des Himmels und der Erde, du siehst es, du hörst es, du spürst es: Die Pandemie – und die Art, in der mit ihr umgegangen wird – geht uns auf den Geist. Es ist nicht leicht und kos-tet Kraft, einen klaren Kopf zu bewahren und beherzt zu bleiben. Bitte, verhilf uns dazu. Hab Erbarmen und stärke uns durch dein Wort. Lass dein Wort die Medizin sein, die wir einneh-men – mag sie auch bitter sein, so ist es doch wahrhaft heilsam. Sei du der gute Hirte bei uns.- Amen.

Einleitung in die Lesung:

Ezechiel[1], „Sohn Buris, des Priesters“, also der gebildeten Oberschicht angehörend, zählt zu denen, die 597 nach Babylon deportiert wurden. Dort erfährt er seine Berufung zum Pro-pheten, dort gehört er zu denen, die fragen, wie es zu dieser Katastrophe hatte kommen können, welche Lehren daraus zu ziehen sind und was Gott sich dazu denkt.

Ezechiel ist das, was man „sprachgewaltig“ nennt. Das gilt auch für das 34. Kapitel, das heute als Predigttext dran ist. Es handelt von den „Hirten Israels“, also den Königen, vom „guten Hirten“, also dem Gott Israels, und von denen, die der „Herde“, also dem Volk Israel ange-hören.

Das Kapitel umfasst 31 Verse. Das ist viel. Wohl deswegen hat man sich entschieden, eine Auswahl zu treffen und 14 Verse (also fast die Hälfte) wegzulassen. Die gehören aber unbe-dingt dazu – ohne sie fehlt etwas Wesentliches! Deshalb ist hier das ganze Kapitel zu lesen – die ausgeklammerten Verse sind blau gedruckt. 

Schriftlesung: Ez. 34

1 Und des HERRN Wort geschah zu mir:

2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?

3 Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden.

4 Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt.

5 Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut.

6 Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder sie sucht.

7 Darum hört, ihr Hirten, des HERRN Wort!

8 So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragten, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten,

9 darum, ihr Hirten, hört des HERRN Wort!

10 So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.

11 Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen.

12 Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.

13 Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande.

14 Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels.

15 Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR.

16 Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und

stark ist, behüten [in Schach halten/tilgen]; ich will sie weiden, wie es recht

ist.

17 Aber zu euch, meine Herde, spricht Gott der HERR: Siehe, ich will richten zwischen Schaf und Schaf und Widdern und Böcken.

18 Ist’s euch nicht genug, die beste Weide zu haben, dass ihr die übrige Weide mit Füßen tretet, und klares Wasser zu trinken, dass ihr auch noch hineintretet und es trübe macht,

19 so dass meine Schafe fressen müssen, was ihr mit euren Füßen zertreten habt, und trinken, was ihr mit euren Füßen trübe gemacht habt?

20 Darum spricht Gott der HERR: Siehe, ich will selbst richten zwischen den fetten und den mageren Schafen;

21 weil ihr mit Seite und Schulter drängtet und die Schwachen von euch stießt mit euren Hörnern, bis ihr sie alle hinausgetrieben hattet,

22 will ich meiner Herde helfen, dass sie nicht mehr zum Raub werden soll, und will richten zwischen Schaf und Schaf.

23 Und ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein,

24 und ich, der HERR, will ihr Gott sein. Und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der HERR.

25 Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen schließen und alle bösen Tiere aus dem Lande ausrotten, dass sie sicher in der Steppe wohnen und in den Wäldern schlafen können.

26 Ich will sie und alles, was um meinen Hügel her ist, segnen und auf sie regnen lassen zu rechter Zeit. Das sollen gnädige Regen sein,

27 dass die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen und das Land seinen Ertrag gibt, und sie sollen sicher auf ihrem Lande wohnen und sollen erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich ihr Joch zerbrochen und sie errettet habe aus der Hand derer, denen sie dienen mussten.

28 Und sie sollen nicht mehr den Völkern zum Raub werden, und kein wildes Tier im Lande soll sie mehr fressen, sondern sie sollen sicher wohnen, und niemand soll sie schrecken.

29 Und ich will ihnen eine Pflanzung aufgehen lassen zum Ruhm, dass sie nicht mehr Hunger leiden sollen im Lande und die Schmähungen der Völker nicht mehr ertragen müssen.

30 Und sie sollen erfahren, dass ich, der HERR, ihr Gott, bei ihnen bin und

dass die vom Hause Israel mein Volk sind, spricht Gott der HERR.

31 Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Impuls:    

1. Was haben wir gehört?-  Wir haben [zu-]gehört, wie Ezechiel davon spricht, was Gott zu ihm gesagt hat, damit er es weitersage: Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR …  Und dann hören wir einen Gott reden, der sich nicht nur für Religion, sondern mindestens genauso für Politik interessiert, nicht nur für den Glauben, sondern ebenso – wenn nicht noch mehr – für das Leben und Zusammenleben der Menschen.

1.1 Und so kommt es, dass sich Gott erst mal die politisch und ökonomisch Verantwortlichen vorknöpft, die Könige in Israel, die „Hirten“ – wie sie sich selber gerne (wie etliche Herrscher im Alten Orient) nennen und nennen lassen. Ihnen wird totales Versagen vorgeworfen. Sie haben ihre Rolle überhaupt nicht verstanden, sondern das Gegenteil dessen getan, was sie hätten tun sollen. Statt sich als Hirten zu bewähren, haben sie sich als despotische Herrscher aufgeführt. Statt sich für das Wohlergehen ihres Volkes einzusetzen und dafür zu sorgen, dass jede[r] zurechtkommt, haben sie die „Herde“ nach Strich und Faden ausgebeutet; sie haben sie gleichgültig preisgegeben; sie haben sie nur noch benutzt, zum „Humankapital“ degradiert; sie haben sie somit ihrer Freiheit und Würde beraubt und orientierungslos ge-macht. So haben sie die Katastrophe heraufbeschworen. Von ihnen kann nichts Gutes mehr erwartet werden – mit ihnen ist es aus!

1.2 Es bleibt Gott gleichsam nichts anderes übrig, als „die Sache selbst in die Hand zu neh-men“ und zu zeigen, was ein Hirte ist und was ein Hirte tut: Ich will das Verlorene suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete will ich verbinden und das Schwache will ich stärken und, was fett und stark ist, werde ich behüten [in Schach halten/tilgen][2]; ich will sie weiden, wie es recht ist. Gott zeigt sich hier als ein begnadeter Sozialpolitiker.

1.3 Mir ist in der Bibel keine vergleichbar heftige, ausführliche und grundsätzliche „Politiker-schelte“ bekannt. Es wäre nun ein Leichtes, unsererseits etwas Ähnliches anzustimmen – ge-rade aufgrund der Erfahrungen, die wir zuweilen in der gegenwärtigen pandemischen Krise machen.

Doch Obacht! Wir sollten dieser Versuchung nicht nachgeben.  Denn – und es ist bedauer-lich, dass wir das „offiziell“ gar nicht zu Gehör bekämen – Gott ist sozusagen „noch nicht fertig“: ER knöpft sich nämlich auch die „Herde“ (die „Gesellschaft“) vor.

2. Auch in der Herde wimmelt es nicht gerade von „Unschuldslämmern“, sondern es waltet der Kampf „Schaf gegen Schaf, Widder gegen Böcke“. Wir sprächen wohl von einer „Ellbo-gengesellschaft“, in der die „Starken“ die „Schwachen“ so lange an den Rand stoßen, bis diese kaum noch wahrgenommen werden. Es gibt keinerlei Zusammenhalt mehr – und die Gesellschaft zerfällt.  (Kommt uns das bekannt vor?)

2.1 Gott nimmt sich vor, „zwischen Schaf und Schaf, den Widdern und den Böcken“ zu „rich-ten“, d.h. das Verhältnis zwischen ihnen so auszurichten, dass es zum „Lastenausgleich“ zwi-schen ihnen kommt. So wird der soziale Friede [wieder-]hergestellt – und der kommt allen zugute! Die kreative und produktive Energie der Gesellschaft wird in einer Weise gestärkt, dass alle erkennen: Gott hat einen „Bund des Friedens“ mit ihnen geschlossen, ER ist mit ihnen.

Die politische Führung wird einem idealen David übertragen, „meinem Knecht David“. Er wird nicht mehr „König“ genannt, sondern „Fürst“ – nicht mehr ein König über sie, sondern Fürst in ihrer Mitte, einer von ihnen. Das hat deutlich „demokratische“ Qualität.

2.2 Interessant und hörenswert ist der abschließende Satz, der in der Lutherübersetzung – bei aller Schönheit – leider etwas verstümmelt widergegeben ist. Wörtlich lautet er: Ihr seid meine Herde, die Herde meiner Weide; Menschen seid ihr, ich bin euer Gott.

Machen wir uns klar: Wenn wir das lesen oder hören, dann verhält es sich so, dass wir gleichsam – mit der Erlaubnis durch Jesus Christus – eine Post öffnen, die gar nicht für uns bestimmt ist, die Post fremder Leute: die Korrespondenz zwischen Gott und SEINEM Volk Israel.

So hören wir mit, was Gott vorschwebt, wenn ER an die Zukunft, an die Zeit nach der Kata-strophe, an die Zeit nach der Krise denkt. Dann denkt ER nicht an eine Restauration, nicht an die Wiederherstellung dessen, wie es „vorher“ war, nicht an die alte „Normalität“.

Es soll nicht mehr zugehen wie in der sprichwörtlichen „Hammelherde“. Gott will es nicht mit „Schäflein“ zu tun haben, nicht mit „dummen Schafen“, sondern mit Menschenmün-digen Menschen, die sich von IHM behütet wissen und allein IHM die Ehre geben. Das tun sie auch und vor allem dadurch, dass sie ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Verantwort-ung und Kompetenz gerecht werden.

Ich finde: Das lässt sich hören. Es ist ein Wort, dass gerade in unseren Coronatagen genau brennt.          

Dank- und Fürbittgebet:

Gott es Himmels und der Erde, „Mensch, wo bist du?“. Das ist die erste Frage, die du stellst.[3] Du stellst sie von Anbeginn an und bis heute. Wie ein Hirte verlorene Schafe sucht, so suchst du den Menschen, so suchst du die Menschen – die, die zu deinem Volk Israel gehören, und, durch Jesus Christus, auch uns. Du willst uns als mündige Menschen, als Menschen, die er-wachsen geworden sind, als Menschen, die von ihrer Vernunft Gebrauch machen – und wis-sen, dass sie deine Kinder sind. Gepriesen sei dein Name.

Wir bitten dich: Lass uns deine Frage nach uns vernehmen – und lass uns antworten: „Siehe, hier sind wir.“ Gewähre uns ein hörendes Herz und einen klaren Verstand, auf dass wir nicht das übersehen und vergessen, was gut ist und was gut läuft – und auf dass wir irrlichternden Phantasien wider-stehen und tumber Nörgelei entsagen.       

Lass uns einsehen und verstärke die Erkenntnis, dass es nicht nur um uns geht, sondern dass wir Glieder einer Menschheit sind, und dass, wenn nur ein Glied leidet, alle Glieder mitlei-den[4]: Alle Menschen gehören geimpft, nicht bloß wir.

(Hans Karl Warken:) Guter Gott, Du hast für deine Herden auf der Erde Hirten eingesetzt. Hirten, die ihre Herde betreuen, ihnen beistehen in Freud und Leid, die mit ihnen den Dienst an dir feiern. Hirten, die den Herden dein Wort nahebringen. Hirten die ihren Herden ein Ge-fühl von Heimat und Geborgenheit geben.

Unsere kleine Herde hier in Marienborn vermisst schon seit einiger Zeit einen Hirten, der die Herde betreut und zusammenhält.

Wir sind froh und dankbar für alle, die es uns trotzdem ermöglichen den sonntäglichen Got-tesdienst zu feiern.

Wir bitten dich: Schicke uns einen Hirten oder eine Hirtin, wo wir Beistand und Rat finden, wo wir eine Einheit werden im Glauben an dich, wo wir im gegenseitigen Vertrauen mit Hoff-nung und Zuversicht in die Zukunft gehen können.

+ Vaterunser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Pfr. i.R. Wolfgang Drewello


[1] hebr.: Jecheskel  griech.: Jezekiel; lat.: Hiezechiel; Luther: Hesekiel

[2] Man kann es so oder so übersetzen.

[3] Gen. 3, 9

[4] 1. Kor. 12, 26